
„Die Hauptaufgabe für Philosophen ist, ihre Sprache menschlicher zu machen, zugänglicher; dann bekommen die Gedanken mehr Leuchtkraft und werden noch interessanter. Ich denke, sie kommen langsam dahinter. Einfachheit ist der Schlüssel.“
Tagebuchnotiz vom 9. Dezember 1991[1]
Einleitung
Am 16. August 2020 wäre Charles Bukowski 100 Jahre alt geworden. Mit seinen Romanen, Short Stories, Briefen und Gedichten gehört er bis heute zu den meistgelesenen und umstrittensten US-Schriftstellern überhaupt. Den einen gilt er als genialer Vereinfacher, der in unverstellter Weise die Abgründe des amerikanischen Albtraums auch solchen Lesern näherbringt, die sich sonst niemals freiwillig mit Literatur beschäftigen würden. Für die anderen hingegen ist er der Prototyp eines sexistischen Proleten, dessen drastische und obszöne Schilderungen nur die schmutzigen Fantasien alter, weißer Männer befriedigen. Beide Einschätzungen sind durchaus zutreffend, übersehen jedoch die Tiefendimension in Bukowskis vielschichtigem Werk, in dem hinter der Fassade aus Selbstgerechtigkeit und Menschenverachtung immer auch das Mitgefühl mit den Erniedrigten und die Sehnsucht nach Liebe und Freiheit aufscheinen. Wer sich unbefangen auf (s)eine Welt voller Alkohol, Gewalt, Sex und Wahnsinn einlässt, begegnet einem sensiblen und witzigen Beobachter gescheiterter Existenzen, der sich mit geradezu verbissener Konsequenz an den eigenen Schattenseiten abarbeitet, um zu einer kompromisslosen Stufe der Selbsterkenntnis zu gelangen.
Bukowskis erste Veröffentlichung erscheint 1944 in der renommierten Zeitschrift Story; aber erst ab Mitte der 1960er Jahre erfährt er so etwas wie Popularität im Zuge der gesellschaftlichen Umbruchstimmung. Ungleich höhere Aufmerksamkeit erregt er in Deutschland, wo er 1978 bei seinem ersten und einzigen Besuch in der alten Heimat wie ein Rockstar gefeiert wird – und sich auch so benimmt.[2] Als er sich im Alter von fast 50 Jahren dafür entscheidet, seine über zwölf Jahre lang durchgehaltene Beschäftigung als Postangestellter aufzugeben, um von der Schriftstellerei zu leben, hat er ein bewegtes Leben hinter sich, das den Stoff für seine Texte liefert: eine prekäre Schattenexistenz in billigen Absteigen und schmuddeligen Bars quer durch die USA, entwürdigende Jobs als Erntehelfer und Gleisarbeiter, Tagelöhner am Fließband und in Schlachthöfen, Türsteher, Handlanger und Laufbursche, unzählige Begegnungen und Beziehungen mit Säufern, Huren, Irren, Kriminellen und anderen Gescheiterten – immer begleitet von verzweifeltem Sex, Suff und Suizidgedanken. 1955 landet er mit Magenblutungen auf der Armenstation des Los Angeles County Hospital und ist fast am Ende. Zwar bleibt der Alkohol auch weiterhin sein Treibstoff und Seelentröster, doch gelingt es ihm, am Leben zu bleiben – durch das Schreiben. Abertausende von Gedichten und Geschichten, zeitweise mit Bleistift auf Zeitungspapier gekritzelt, dann Nacht für Nacht in seine Schreibmaschine gehämmert, ohne Durchschlag oder Sicherheitskopie verschickt an Kleinstverlage und Literaturmagazine, formen allmählich den literarischen Kosmos des ‘Dirty Old Man’, der als autodidaktischer Außenseiter auch mehr als 25 Jahre nach seinem Tod entweder von den Fans kultisch verehrt oder von etablierten Literaturkritikern verachtet wird.
Auch wenn umgekehrt die Ablehnung des akademischen und literarischen Establishments zu seiner selbstgewählten Rolle gehört, kommt Bukowski immer wieder auf einige wenige von ihm bewunderte Dichter und Denker zu sprechen, die ihn seit seiner Jugend geprägt haben. Neben Dostojewskij und Hamsun, Louis-Ferdinand Céline und John Fante, Hemingway oder Henry Miller erwähnt er gelegentlich auch Philosophen wie Platon und Aristoteles, Descartes und Kant, Schopenhauer und Nietzsche, Sartre und Camus, deren Gedanken und Werke ihn mehr oder weniger beeindruckt haben. So behauptet er einmal, auch die großen Philosophen gelesen zu haben, die er – wie sich selbst – für verrückte Kerle und Spielernaturen hält, da sie an allem rütteln, was vermeintlich gut und heilig ist, und damit weit über denjenigen stehen, die einem sonst auf der Straße oder in Cafés oder im Fernsehen begegnen.[3] Während er sich aber vor allem in seinen Briefen polemisch und kritisch mit Kollegen und ihren Werken auseinandersetzt, findet eine ernsthafte und explizite Beschäftigung mit Philosophie so gut wie gar nicht statt und muss erst auf einer anderen Ebene freigelegt werden. Er selbst wehrte sich vehement gegen literaturwissenschaftliche Vergleiche, etwa wenn irgendeine „beschissene Weichei-Dissertation“ existenzialistische Einflüsse in seinem Werk zu identifizieren versucht.[4]
Vor einiger Zeit hat der Bukowski-Kenner Roni in einem Vortrag vor der Frankfurter Schopenhauer-Gesellschaft die These vertreten, dass „Bukowski in gewissem Sinn ein Existenzphilosoph in der Tradition von Schopenhauer und Nietzsche“ gewesen sei. Er untermauert dies vor allem durch Parallelen in Persönlichkeit und Welt- bzw. Menschenbild, verzichtet aber auf eine im engeren Sinne philosophische Interpretation der Gedanken des ‘Dirty Old Man’.[5] Abgesehen davon, dass es sich hier keineswegs um ein konsistentes System handelt, besteht der Beitrag des existenz- bzw. lebensphilosophischen Denkstils unter anderem darin, dass die philosophische Reflexion keinen gesicherten Standpunkt außerhalb des Lebens einnehmen kann, sondern in die Dynamik seiner Beziehungen hineinverwoben bleibt und nur im Kontext dieser Totalität zu verstehen ist. Die eigene Existenz ist demnach kein blutleeres Erkenntnissubjekt, sondern eine integrale Funktion der Selbsterfahrung, die einem insbesondere in Extremsituationen buchstäblich auf den Leib rückt. Dass Charles Bukowski in seinem umfangreichen Œuvre auch in dieser Hinsicht Wertvolles und Diskussionswürdiges zu bieten hat, soll deshalb im Folgenden näher betrachtet werden.
So steht zunächst Bukowskis Methode der autobiografischen Fiktion (I.) im Fokus, das eigene Leben zur Literatur zu verdichten. In einer Traditionslinie von Augustinus’ Bekenntnissen über Goethes Dichtung und Wahrheit und Nietzsches Ecce Homo bis hin zu den Zeitgenossen der Beat-Generation stehend, handelt es sich um eine Wiederkehr des Subjekts aus den Untiefen der Lebenserfahrung, die in Bukowskis Fall auch immer eine Frage des Überlebens ist. Inhaltlich sind seine Gedichte und Geschichten gleichsam hyperrealistische Momentaufnahmen alternativer Existenz- und Lebensformen, die am Rande der Gesellschaft vor sich hin vegetieren (II.). Zwar hält sich Bukowski fern von jeglichem moralischen Aktivismus, doch leistet er damit in ironischer Brechung immer auch einen Beitrag zur „geistigen Situation der Zeit“ (K. Jaspers). Ob sich aus dieser Art und Weise der Daseinsbewältigung auch allgemeine Lehren fürs Denken und Handeln ziehen lassen (III.), möge den Abschluss und Ausblick dieser Abhandlung bilden.
I. Autobiografie eines Außenseiters
Die literarische Darstellung des eigenen Lebens oder einzelner Lebensphasen gehört zu den ältesten Gattungen der Literatur, sodass sich in ihrer Geschichte auch die Entstehung und Wandlung des modernen Individualitätsbegriffs spiegeln. So gelten etwa die Confessiones (398 n. Chr.) des Augustinus zugleich als das älteste autobiografische Zeugnis wie auch als Gründungsdokument aller späteren Selbstbewusstseinstheorien: Mit der Schilderung seines sündigen Vorlebens bis zur Bekehrung zum wahren Glauben verbindet er grundlegende Reflexionen über Erinnerung und Gedächtnis als den konstitutiven Momenten gelebter Zeitlichkeit in ihrem Verhältnis zur Ewigkeit Gottes. Für eine christlich geprägte Tradition gewinnt daher die retrospektive Beschreibung des individuellen Lebens und Leidens eine Schlüsselfunktion bei der Realisierung des göttlichen Heilsplans.
Mit dem fortschreitenden Säkularisierungsprozess und dem Verlust transzendenter Ordnungen stellt sich jedoch zunehmend die Frage nach der Stellung des Menschen im Gang der Weltgeschichte. Nach Goethes Dichtung und Wahrheit (1830), das für lange Zeit als Prototyp der Autobiografien gilt, sei es folglich deren Hauptaufgabe, „den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie er sie […] wieder nach außen abgespiegelt“. Doch würde dazu das kaum Erreichbare gefordert, „dass nämlich das Individuum sich und sein Jahrhundert kenne, sich, inwiefern es unter allen Umständen dasselbe geblieben, das Jahrhundert, als welches sowohl den Willigen als Unwilligen mit sich fortreißt, bestimmt und bildet“. Um hier den Widerspruch von Sein und Werden zu überwinden, wird die Geschichte in die Darstellung und Bildung des Individuums miteinbezogen, welches erst durch eine Betrachtung der wechselnden Umstände und Zeiten zu sich selbst kommt.
Gut fünfzig Jahre später wird Friedrich Nietzsches Ecce Homo (1888) diese fragile Harmonie von Ich und Welt mit der Geste des an der Sinnlosigkeit allen Seins leidenden Einzelnen zerbrechen. An die Stelle einer linearen Bildungsgeschichte autonomen Bewusstseins tritt schließlich der fragmentarische Subjektivismus eines im Strudel seines Zeitalters verlorenen Selbst. Das seit jeher charakteristische Spannungsverhältnis von fact und fiction verschiebt sich zusehends in Richtung einer Literatur, in der sich das Subjekt nur noch im Schreibakt selbst zu (er)finden vermag, ohne auf eine außertextuelle Realität referieren zu müssen. Aus der Verfügbarkeit der einen Geschichte ist die Verstrickung in eine Vielzahl von Geschichten geworden, die als offene Sinnhorizonte für ein vom Scheitern bedrohtes Selbstverständnis eine narrative (Re-)Konstruktion des eigenen Lebens ermöglichen sollen.[6]
Leben als Literatur

Das eigene Ableben bereits undeutlich im Blick, lässt Bukowski im letzten Roman Pulp – Ausgeträumt (1994) seinen Anti-Helden, den abgehalfterten Privatdetektiv Nick Belane, über das Leben im Allgemeinen und sein verkorkstes im Besonderen sinnieren: „Ich hätte ein großer Philosoph werden sollen, dann hätte ich ihnen gesagt, wie dumm es von ihnen war, dass sie rumstanden, Luft in die Lungen saugten und wieder auspusteten.“[7] Wie fast alle seine Figuren trägt dieser ausdrücklich autobiografische Züge, wenn auch hier mit deutlich mehr Selbstironie gezeichnet als seine früheren Ich-Erzähler, die meist als harte Kerle mit weichem Kern daherkommen. In den meisten seiner Stories lässt er sein Alter Ego Henry ‘Hank’ Chinaski die Rolle seines Lebens spielen, die je nach Quellenlage etwa 50–95 % Bukowski enthalten soll.[8] Ähnlich wie seine Zeitgenossen aus der Beat-Bewegung oder die berühmten Vorbilder Dostojewskij, Hamsun oder Céline bedient er sich dabei des Mittels der autobiografischen Fiktion, um seiner speziellen Form der Literatur die existenzielle Tiefe und umgekehrt seinem eigenem Leben die literarische Relevanz zu verleihen. Dabei geht es ihm aber keineswegs nur um eine Selbststilisierung als Mythos oder Kunstwerk, sondern eher um eine nihilistisch grundierte Lebenskunst, die aus der faktischen Not eine amoralische Tugend macht. Mehr als einmal zitiert Bukowski deshalb die Klage von Nietzsches Zarathustra, wonach die Dichter zu viel lügen, nicht ohne dabei dessen Credo aus den Augen zu verlieren, dass die Dichtung nichts ohne das Leben und das Leben nichts ohne die Lüge sei.[9]
Heinrich Karl Bukowski kommt am 16. August 1920 in Andernach am Rhein als einziger Sohn eines amerikanischen Soldaten polnischer Abstammung und einer Deutschen zur Welt. Nach zwei Jahren zieht die Familie in die USA, zunächst nach Baltimore, dann Los Angeles, wo Charles die meiste Zeit seines Lebens verbringen wird. Seine Kindheit und Jugend sind von Armut, Lieblosigkeit und Gewalt geprägt. Die Mutter ist schwach, und der Vater ist ein kleinbürgerlicher Spießer, der nach Höherem strebt, aber selbst nichts auf die Reihe bekommt, was ihn von dem Abschaum unterscheidet, für den er alle anderen hält. Die familiären Schläge und Schikanen, eine von Ausgrenzung und Enttäuschung bestimmte Schulzeit und schließlich eine an Leib und Seele entstellende, besonders fiese Form der Akne tragen ihr Wesentliches dazu bei, dass aus Henry Charles Jr. schließlich der harte Knochen, Säufer und Außenseiter werden muss, der erst mit den Fäusten und dann mit Worten zurückschlägt.
Zahlreiche Anekdoten und Episoden dieses Martyriums werden zu wiederkehrenden Topoi eines Werkes, das trotz dieser Erfahrungen gerade nicht in bloßem Selbstmitleid unterzugehen droht, sondern genau die ironische Distanz hervorbringt, die echte Kunst vom bloßen Leben unterscheidet. Unnachahmlich wird dies niedergelegt im Coming-of-Age-Roman Ham on Rye (1982), dessen von Carl Weissner kongenial geprägter deutscher Titel „Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend“ eigentlich viel besser den Ton trifft, den Bukowski hier anschlägt. Was sich in den ersten drei Romanen Post Office (1971, dt. „Der Mann mit der Ledertasche“), Factotum (1975) oder Women (1978, dt. „Das Liebesleben der Hyäne“) bereits als literarische Selbstvergewisserung eines Lebens im Abseits abzeichnet, verdichtet sich hier zu einem bewusst gestalteten Gegenentwurf zu dem, wofür die Generation seiner Eltern, Lehrer und Mitschüler steht:
„Ich sah deutlich vor mir, wie es weitergehen würde. Ich war arm, und ich wollte auch arm bleiben. Doch zu Geld wollte ich gar nicht unbedingt kommen. Ich wußte nicht, was ich wollte. Oh doch, ich wußte es: Einen Ort, wo ich mich verkriechen konnte. Irgendwo sein, wo man nichts zu tun brauchte. Die Vorstellung, jemand zu sein, etwas darzustellen, war nicht nur abschreckend, sie war mir zuwider. Anwalt zu sein, Stadtverordneter, Ingenieur oder sonst was in dieser Art, erschien mir völlig unmöglich. Heiraten, Kinder haben, in die Falle des reglementierten Familienlebens geraten. Jeden Tag irgendwohin zur Arbeit fahren und abends zurückkommen. Nicht auszudenken. All diesen üblichen Kram mitmachen – Familienpicknicks, Weihnachten, 4. Juli, Tag der Arbeit, Muttertag … war der Mensch nur auf der Welt, um all das zu ertragen und dann zu sterben? Da würde ich doch lieber Tellerwäscher sein, abends allein in einer winzigen Bude sitzen und mich in den Schlaf trinken.“[10]
Seine trostlosen Teenager-Jahre sind auch die Zeit, als Charles Bukowski neben dem Alkohol die Liebe zur Literatur als Lebenselixir entdeckt. In der La Cienega Public Library oder in den Stadtbüchereien von L. A. und El Paso sucht er nach Büchern, die ihm etwas geben würden, doch wird seine Sehnsucht nach Helden bis auf wenige Ausnahmen meistens enttäuscht. Er verschlingt die Romane von Turgenjew, Dostojewskij oder John Dos Passos und Sinclair Lewis sowie die Klassiker der Kultur- und Geistesgeschichte, aber es bleibt ein blinder Fleck, oder besser: eine offene Wunde, die nur durch so etwas wie selbst erlebte ‘Eigentlichkeit’ oder Authentizität geheilt werden könne:
„Ich fraß mich (im übertragenen Sinne) durch mehrere Büchersäle und landete schließlich in der Philosophieabteilung. Die Jungs da hatten Stil. Sie redeten über Wichtiges. Jedenfalls schien es so. Oder hätte so sein sollen. Eine Sache, über die sie redeten, war das Bedürfnis nach Einsamkeit. Das leuchtete mir ein.“[11]
Immer wieder wirft Bukowski den meisten seiner Schriftstellerkollegen vor, dass ihnen genau diese erlebte Selbstbezüglichkeit abgeht und stattdessen formale Kriterien und Stilfragen, Standesdünkel und Eitelkeiten die literarische Existenzform dominieren. Was er selbst für Stil und Methode hält, könne man jedoch nicht in Seminaren, sondern buchstäblich nur auf der Straße lernen. Hier bedeute Stil, keinerlei Schutzschild, keinerlei Fassade und völlige Natürlichkeit zu besitzen und dabei auf sein bloßes Menschsein allein unter Milliarden anderen zurückgeworfen zu sein. Wer auch nur einen Funken Verstand im Kopf und Gefühl im Herzen habe, gehe nicht auf die Universität, auch wenn er sich es leisten könne: „Man kann da nichts lernen außer dem, was in der Geschichte der Menschheit passiert ist, und was in der Geschichte der Menschheit passiert ist, weiß man, wenn man in irgendeiner Stadt einmal um den nächsten Block läuft.“[12] Das Hauptproblem liegt für Bukowski darin, dass die, die Literatur schreiben, nicht das Leben beschreiben, sodass die anderen, die nur ihr Leben leben, von der Literatur ausgeschlossen bleiben.
Ausbildung zum Außenseiter
Seine eigene, nach üblichen Maßstäben eher mangelhafte Bildung – nach der Highschool studiert er zwei Jahre lang (ohne Abschluss) Journalismus am L. A. City College – empfindet er keineswegs als Makel, sondern als konsequente Umsetzung seines Freiheitsdrangs: „Was waren denn Ärzte, Anwälte, Wissenschaftler? Doch auch nur Menschen, die sich die Freiheit nehmen ließen, selbständig zu denken und zu handeln.“[13] Zwar kann er auch der Gesellschaft der Penner, in der er sich zeitweise bewegt, wenig abgewinnen, doch unterscheiden diese sich wenigstens von den normalen Durchschnittsmenschen, deren Leben Bukowski schlimmer als der Tod vorkommt. Neben wenigen Schriftstellern und Komponisten klassischer Musik sind es vor allem die Pferderennbahn und die Grenzbereiche der Gesellschaft, die zu seiner Ausbildung als Außenseiter beitragen: „Krankenhäuser und Gefängnisse und Nutten: das sind die Universitäten des Lebens. An denen habe ich mehrere akademische Grade erworben.“[14] So versteht er sich dennoch als eine Art Studierender, als ‘Scholar der Hölle’ oder ‘Fotograf des Lebens’, der seine kleinen Momentaufnahmen macht und sonst nicht viel mehr tun kann, um den Untergang aufzuhalten.
Nach dem endgültigen Zerwürfnis mit dem Vater, der seine Sauferei, aber auch die schriftstellerischen Ambitionen missbilligt, begibt sich Charles Bukowski auf eine Art Wanderschaft, wo er in den Randzonen der amerikanischen Gesellschaft zu Zeiten der Wirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs nach dem ‘echten’ Leben sucht. Er spielt den Nazi und ist Pazifist, als es opportun ist, gegen die Deutschen und für den Krieg zu sein. Er sitzt im Knast wegen Kriegsdienstverweigerung und Landstreicherei und erregt sowohl wegen seiner Obszönitäten als auch wegen seines Eintretens für die Meinungs- und Kunstfreiheit den Argwohn der Behörden. Die Zeit, die er nicht mit Alkohol und miesen Jobs verbringt, nutzt er, um seine Erfahrungen zu Papier und an die Leser unabhängiger Underground-Magazine zu bringen. Nachdem ihn die Enttäuschung über seinen mangelnden Erfolg und die Verzweiflung am misslungenen Leben beinahe um dieses gebracht haben, stellt sich jedoch allmählich so etwas wie ein spätes Glück ein. Der eingeschlagene und durchgehaltene Weg durch die Hölle des anderen Amerika erweist sich als genau die richtige Grundlage für sein weiteres Schaffen:
„Die Fabriken, die Schlachthäuser, die Lagerhallen habe ich mir nicht direkt ausgesucht und andererseits dann doch, und dasselbe gilt für die Frauen und das Trinken. […] Das waren meine literarischen Lehrjahre, die Zeit, die ich in kleinen Buden voller Wanzen, Mäuse oder Ratten wohnte und nichts zu beißen hatte, aber reichlich Selbstmitleid und Ekel. Daraus ergaben sich Storys und Gedichte und auch eine Portion Glück; kein unermessliches Glück, aber immerhin, und dass sich das Glück spät einstellte, ungefähr, als ich fünfzig war, war das Beste daran.“[15]
Der Außenseiter Bukowskis ist aber kein dem Hunger und Wahnsinn verfallener Intellektueller mehr wie noch bei seinen Idolen Dostojewskij oder Hamsun, sondern ein working class hero wider Willen, der genau weiß, dass er nie eine andere Chance bekommt, als den Losern eine Stimme zu geben. Und bei aller Sympathie für die Ideale der revolutionären Bewegungen geht es ihm dabei keineswegs um eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse, die als von Menschen herbeigeführte auch immer nur deren Schwächen offenbaren muss.
II. Phänomenologie misslungenen Lebens
Unter ‘Phänomenologie’ versteht man in der Philosophie eine Methode, die Dinge selbst in ihren je unterschiedlichen Erscheinungs- und Gegebenheitsweisen zum Sprechen zu bringen, ohne sie bereits mit wissenschaftlichen oder moralischen Vorurteilen zu überformen. Von Hegel über Husserl und Heidegger bis hin zu Sartre wird damit sowohl der Versuch einer begrifflichen Grundlegung jeglicher Erkenntnis als auch eine Selbstaufklärung und Emanzipation menschlichen Bewusstseins von ungerechtfertigten Herrschaftsansprüchen verbunden. Auch Bukowski betont zeitlebens den engen Zusammenhang zwischen dem Schreiben und der Suche nach authentischem Dasein. In den Bars und Bordellen, in Schlachthöfen und Fabrikhallen, auf der Rennbahn und am Fenster seiner billigen Zimmer ist er der teilnehmende Beobachter, der alles, was ihm im Leben begegnet, an der Maschine in Poesie umsetzt. Wie Heidegger die arbeitsteilig organisierte Werkwelt des kleinbürgerlichen Handwerkers an der Schwelle zum technologischen Zeitalter zum Mittelpunkt seiner existenzialen Hermeneutik macht, so lenkt Bukowski die Aufmerksamkeit auf das Milieu der Modernisierungsverlierer, die sich auf der Suche nach dem Richtigen im Falschen von Job zu Job, von Frau zu Frau, von Drink zu Drink hangeln, ohne je etwas Besseres als den Tod darin zu finden.
Trinke und arbeite!
In seinem ersten Roman Post Office (dt. „Der Mann mit der Ledertasche“) beschreibt Bukowski seine langjährige Tätigkeit als Aushilfsbriefträger und später Briefsortierer bei der staatlichen Postbehörde der USA. Es handelt sich keineswegs um eine Sozialreportage im üblichen Sinne oder gar eine tiefschürfende Analyse der kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Aber in den lakonischen Schilderungen der Widrigkeiten seines Alltags und der Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen treten deutlich die gegensätzlichen Lebensauffassungen und Existenzmodelle hervor. Auf der einen Seite eine ehrwürdige Institution mit öffentlichem Auftrag, die von ihren Angestellten unbedingte Pflichterfüllung verlangt und diese mit einer Unzahl an Vorschriften und Verordnungen durchzusetzen versucht; auf der anderen Seite der geborene Anarchist und Quertreiber, der aus reiner Lust an der Provokation gegen die Regeln spielt und dabei ihre Absurdität bloßstellt. Man kann Post Office durchaus als ein antikapitalistisches Manifest bezeichnen, obwohl es keinerlei politische Parolen oder gar Lösungsansätze zur Abschaffung gesellschaftlicher Missstände anbietet. Bukowski durchschaut zwar den ausbeuterischen Charakter der Arbeitsbedingungen der einfachen Angestellten, doch ist er viel zu sehr in die eigene Existenzsicherung verstrickt, als dass sich hier schon – außer Saufen, Sex und Pferdewetten – eine Alternative abzeichnen würde. Um Widerstand gegen eine in alle Lebensbereiche vordringende Leistungsgesellschaft zu leisten, bleibt ihm zunächst nur die Leistungsverweigerung, die ihn aber schließlich dazu bringt, ein anderes Leben als Schriftsteller zu führen.
Die Notwendigkeit, seinen bescheidenen Lebensunterhalt ohne jeden Ehrgeiz zu verdienen, ist auch Gegenstand des zweiten Romans Factotum. Das Buch beruht auf den Erfahrungen, die Bukowski während seiner Lehr- und Wanderjahre in New Orleans, New York, Philadelphia, Miami und Los Angeles gemacht hat. Wie in seinem Debüt erhebt die ungeschönte Wiedergabe seines täglichen Daseinskampfes dabei keinerlei sozialromantische Ansprüche. Im Gegenteil: Bukowskis Variante der Dialektik von ‘Herr’ und ‘Knecht’ – der wechselseitigen Abhängigkeit von Ausbeuter und Ausgebeuteten – drückt sich darin aus, dass auch sein Anti-Held Chinaski denselben Anspruch auf Ausbeutung und Machtmissbrauch erhebt, denen er bei seinen ständig wechselnden Arbeitgebern ausgeliefert ist: „Wenn man erst einmal dahintergekommen war, daß alles ein einziger Schwindel war, dann wurde man schlau und begann seine Mitmenschen auszupowern und zu bescheißen.“ Und doch sollte es seiner Meinung nach auch für Menschen ohne Ehrgeiz einen Platz in dieser Gesellschaft geben, der besser ist als das, was man ihnen üblicherweise zugesteht:
„Wie zum Teufel sollte man morgens um halb sieben, wenn der Wecker schrillte, gutgelaunt aus dem Bett springen, sich anziehen, hastig was runterschlingen, scheißen, pissen, sich die Zähne putzen und die Haare kämmen und sich durchs Verkehrsgewühl kämpfen, nur um rechtzeitig an einem Arbeitsplatz zu erscheinen, wo man für einen anderen einen Haufen Geld erwirtschaften durfte und dafür auch noch dankbar sein sollte?“[16]
Da sich Arbeit und Alkohol auf Dauer als lebensgefährlich erweisen, der alltägliche Wahnsinn aber dennoch irgendwie hinter sich gebracht werden muss, sucht sich Bukowski auf Anraten seiner damaligen Trink- und Lebensgefährtin eine Beschäftigung, an der sich die seelische Verarmung in nuce studieren und dabei mit Glück sogar noch ein wenig Geld verdienen lässt: „Die Leute kommen zum Rennplatz, weil ihnen das Wasser bis zum Hals steht, und weil sie eher riskieren wollen, daß ihnen das Wasser bis über die Ohren geht, als sich mit ihrer augenblicklichen Lage zufrieden zu geben.“[17] Obwohl oder gerade weil man dort dem schlimmsten Abschaum der Menschheit begegnet, macht er es sich für den Rest seines Lebens zur Gewohnheit, beinahe täglich mit dem Auto zur Rennbahn zu fahren, Wettsysteme auszutüfteln, mal zu gewinnen, mal zu verlieren – und dabei so manch wertvolle Erkenntnis über die Irrationalität menschlichen Fühlens und Handelns zu erlangen.
Trotz seines gespannten Verhältnisses zur Berufstätigkeit als konstitutives Element moderner Gesellschaften versteht sich auch Bukowski als eine Art ‘Arbeiter’ in Sachen Literatur. Sein eigenes hartes Leben schuf den harten Vers, eine einfache, aufs Wesentliche reduzierte Sprache, um die Sache selbst auf den Punkt zu bringen. Mit geradezu mönchischer Disziplin sitzt er fast jede Nacht an seiner Schreibmaschine, um bei ein paar Sixpacks oder Flaschen Wein, begleitet von Zigarren und klassischer Musik aus dem Radio, seine Texte zu tippen. Sein angestrebtes Pensum von täglich zehn Seiten wird dabei meistens überschritten, doch kann er sich am nächsten Morgen oft kaum noch daran erinnern, was er da geschrieben hat. Sein ganzes Leben lang habe er davon geträumt, Schriftsteller zu sein, doch sitzt ihm auch hier die Angst, nicht über die Runden zu kommen, im Nacken. Denn wer sich einmal für das Schreiben entschieden habe, sei für einen normalen Beruf nicht mehr zu gebrauchen. Während der Durchschnittsmensch seine acht Stunden abreißt und geschafft nach Hause kommt, wartet auf einen Schriftsteller immer schon das nächste Stück Arbeit: „Ein Schriftsteller ist dafür gemacht, ausgebeutet zu werden. Er kann nichts anderes erhoffen als […] das nackte Leben, damit er weiterschreiben kann, bis er stirbt.“[18]
Und so versteht Bukowski auch die Lesungen, die er nun aus wirtschaftlichen Gründen häufiger absolvieren muss, als den unangenehmsten Teil seiner Profession. Nicht ohne Verwunderung stellt er fest, dass seine Auftritte an Colleges oder in Clubs durchaus gefragt und nicht selten sogar lukrativ sind. Man bezahle ihn jetzt sogar dafür, sich öffentlich zu betrinken und andere zu beschimpfen, spottet er gelegentlich. Doch die Kollegen und das Publikum, insbesondere ihre maßlose Gier nach seinen in Gedichten und Geschichten offenbarten Gefühlen, sind dem sensiblen Poeten kaum oder nur im Beinahe-Vollrausch erträglich. Aber da Bukowski bekanntlich von den Prostituierten noch mehr gelernt hat als von den Philosophen, bleibt er auch darin ganz der Profi und liefert mehr oder weniger souverän die Leistungen ab, die seine Leser und Zuhörer für ihr Geld erwarten.
Poesie statt Politik
Zwischen 1967 und 1976 erscheinen die Notes of a Dirty Old Man als wöchentliche Kolumne zunächst in der Undergroundzeitschrift Open City sowie später in NOLA Express und der Los Angeles Free Press. Von 1983 bis 1984 schreibt Bukowski seine Notizen dann für die Zeitschrift High Times, darunter auch die satirisch an Nietzsche angelehnte Aphorismen-Sammlung „Ecce Hetero“.[19] So wie Dostojewskijs Aufzeichnungen aus dem Kellerloch (1864), von denen er sich zum Titel inspirieren lässt, handeln viele seiner darin veröffentlichten Texte von verrückten Außenseitern, die abseits vom Mainstream ihre extremen Ansichten über persönliche Befindlichkeiten und Erlebnisse, aktuelle Zeitereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen zum Besten geben. Die Serie greift ein breites Spektrum von Themen auf, u. a. die Studentenrevolte, den Vietnamkrieg, den Kampf der Geschlechter und Rassen, aber immer wieder auch Sex in allen möglichen und unmöglichen Spielarten. Bukowski dokumentiert darin auf seine eigentümliche Weise die Gegenkultur der sechziger und siebziger Jahre, selbst wenn er die meisten dieser Positionen bereits in den dreißiger und vierziger Jahren eingenommen hat. Doch auch darin bleibt er der unverbesserliche Outsider, der sich jeder Vereinnahmung durch literarische oder politische Gruppierungen verweigert:
„Ich war Hippie, als es noch keine Hippies gab; ich war Beat vor den Beats. Ich war eine Ein-Mann-Demo. […] Ich war Underground, als es noch gar keinen Underground gab.“[20]
All diesen Gruppen, die aus den verschiedensten Gründen und mit unterschiedlichen Argumenten die bestehenden Verhältnisse kritisieren oder für ihre Veränderung bzw. Abschaffung plädieren, hat er die konkrete Erfahrung voraus, selbst zu den Opfern des guten, alten American Way of Life and Death zu gehören. Und bevor man eine Sache beseitigt, schreibt er den Möchtegern-Revolutionären ins Stammbuch, möge man doch erst einmal etwas Besseres an deren Stelle zu setzen haben als bloße Latrinenparolen und Hasstiraden. Zwar sieht er sich selbst als einen eher unpolitischen Menschen, doch ergreift Bukowski immer wieder Partei für die vom Leben und von der Gesellschaft Gebeutelten. Dabei will er sich nicht, wie z. B. der dafür häufig von ihm kritisierte Albert Camus, den „Heiligenschein des engagierten Aktivisten“ aufsetzen, „der sich um das Wohl der Menschheit sorgt“. Das Einzige, was sich vielleicht anzustreben lohnt, wäre ein „universales Konzept der Aufklärung und Erziehung, des gegenseitigen Verstehens auf der Basis realer positiver Vibrationen, eine Chance für die heranwachsende Generation, die noch nicht mit dem Rücken zur Wand steht […].“[21]
In seinem Text „Sollen wir Uncle Sam den Arsch aufreißen?“ aus dem Jahr 1970 betont Bukowski, dass seine Tür „Links und Rechts […], Schwarz und Weiß, Gelb und Rot, diversen Männern, Frauen, Lesben, Homos“ offen steht, und setzt sich kritisch mit der Gewalt als Mittel der Politik auseinander. Insbesondere kritisiert er aber auch dort die Neigung der sogenannten Intellektuellen, sich für eine vermeintlich ‘gute Sache’ zu engagieren und dabei ihre eigentliche Fähigkeit zur analytischen Distanz aufzugeben. Zwar wünscht auch er sich eine bessere Welt, doch misstraut er jeder Form von aktiver Politik, Krieg und Engagement, die seit Tausenden von Jahren immer nur das Schlechte im Menschen zum Vorschein gebracht haben: „Euer ganzes Denken muss darauf gerichtet sein, nicht wie ihr eine Regierung stürzt, sondern wie ihr eine bessere schafft.“[22] Aber anstatt sich nun als erklärter Gegner sowohl des politischen Terrors als auch naiver Kiffer-Romantik vor den Karren der Konservativen spannen zu lassen, erteilt er auch der vermeintlichen Gegenseite eine klare Absage: „Wenn ich aber sehe, wie diese reaktionären Geier ihre Schläge unterhalb der Gürtellinie anbringen, dann platzt mir der Kragen und ich steige in den Ring.“[23]
Bukowski lässt sich nicht auf eine bestimmte Partei, Parole oder Position festlegen. Er bleibt der zeitgemäß Unzeitgemäße und kann bei genauer Betrachtung nicht einmal auf den ewigen Trunkenbold und Mustermacho reduziert werden – ein Image, das er sich selbst ausgesucht und über die Jahre liebevoll gepflegt hat.
It’s a Woman’s World

Es scheint nahezu offensichtlich zu sein, dass Charles Bukowski bereits zu seiner Zeit genau die Art von Männlichkeit verkörpert, die heute im Zuge von #metoo und political correctness auf der Abschussliste steht. Aber auch hier trügt wie so oft der erste Eindruck, den der Autor zu vermitteln nicht müde wird. Der vermeintlich sexbesessene, dauergeile Lustmolch, der sich nicht einmal scheut, in die Gedankenwelt eines Vergewaltigers einzudringen, bewegt sich in einem psychosozialen Koordinatensystem, in dem die Frauen – ähnlich wie bei seinen angeblich misogynen Vorbildern Schopenhauer und Nietzsche – den Ton angeben: Er ist der verletzte Sohn, der über ihren Tod hinaus nicht verzeihen kann, dass ihn die eigene Mutter tatenlos der Gewalt des Vaters ausliefert. In der Schule ist er das typische ‘Opfer’ und der hässliche Pausenclown, für den sich statt der hübschen Girls nur die Englischlehrerin interessiert, die auch gleich für seine pubertäre Unverschämtheit herhalten muss. Seine erste große Liebe ist zehn Jahre älter und wird schließlich das Opfer ihrer einzigen Gemeinsamkeit – des Alkohols. Noch bis zu seinem eigenen Tod schreibt er für Jane Cooney Baker einige seiner berührendsten Gedichte. Zwei weitere Beziehungen scheitern – die Ehe mit der Herausgeberin und angeblichen Millionärstochter Barbara Frye wohl am Geld, die andere mit der ambitionierten Künstlerin Francis Smith an deren Anspruch auf Weltverbesserung. Doch schenkt diese ihm zumindest seine Tochter Marina und eine neue Rolle als Vater, der vielleicht nur weniges besser, aber vieles anders macht. Junge und alte, hässliche und hübsche Frauen begleiten ‘Hank’ fortan durch sein echtes und erdachtes Leben; gemeinsam ist ihnen allen, ebenso auf der anderen Seite zu stehen wie ihr Held. Obwohl er sich nach Kräften bemüht, sie zum bloßen Objekt seiner Begierden zu degradieren, bleibt am Ende er als Opfer seiner Selbstwerdung zurück. Seine dritte und letzte längerfristige Partnerin und Ehefrau Linda Lee Beighle rettet ihm mutmaßlich mehrmals das Leben, indem sie einerseits die ewigen Eskapaden des schmutzigen alten Mannes erträgt und andererseits schließlich dem Todgeweihten mit Gesundheitskost und buddhistischer Gelassenheit den letzten Gang etwas erträglicher macht.
Die literarische Auseinandersetzung mit dem ewig Weiblichen führt Bukowski in seinem dritten Roman Women (dt. „Das Liebesleben der Hyäne“), eine Art ‘Dekameron’ im Dauerdelirium, das dennoch von einem bemerkenswerten Selbstreflexionsniveau zeugt. Der literarische und erotische Spätzünder Chinaski stillt darin seinen dramatisch erhöhten Nachholbedarf an weiblicher Zuneigung und führt damit zugleich einen intellektuellen Selbstversuch am offenen Herzen durch. In den nach eigener Aussage vom Renaissance-Humanisten Giovanni Boccaccio inspirierten Episoden geht es bei vollem Körpereinsatz um Eifersucht und Eitelkeit, um echte Liebe und falsche Hoffnungen. Auch wenn Bukowski bei seiner wohlkalkulierten Reduktion der Sexualität auf sekundäre Geschlechtsmerkmale und Körper(dys)funktionen bzw. -flüssigkeiten immer auch den Pornomarkt als Absatzmöglichkeit im Sinn hat, handelt es sich mitunter um eine einfühlsam und scharfsinnig beobachtete, psycho(patho-)logische Wesensschau, bei welcher der Held selbst keineswegs immer gut aussieht. Die groteske Situation, dass sich der alternde Gossenpoet mit wachsendem Erfolg auch plötzlich den erotischen Begehrlichkeiten von Literatur-Groupies und anderen Beziehungsversehrten ausgesetzt sieht, führt sogar den praktischen Nihilisten in bislang unbekannte Gewissensnöte: „Ich war alt, und ich war häßlich. Vielleicht war das der Grund, weshalb es mir so ein gutes Gefühl gab, junge Mädchen zu pimpern.“[24] Was er zunächst als Recherchen und Studium des weiblichen Geschlechts für sein Buchprojekt verbrämt, entpuppt sich für ihn mehr und mehr als billiges egoistisches Vergnügen, bei dem auf der Flucht vor dem eigenen Altern und Tod mit dem Leben und den Gefühlen anderer herumgepfuscht wird.
Denn eigentlich hält Bukowski Sex für eine Schmierenkomödie, die maßlos überschätzt und insbesondere in der amerikanischen Wohlstandsgesellschaft als Waffe im Kampf der Geschlechter missbraucht wird. Er verabscheut die neue Art von leistungsorientierter Beziehungsarbeit, die im Zuge der sogenannten ‘sexuellen Revolution’ aufkommt: ein mechanisches Kopulieren von totem, fremden Fleisch zur bloßen Befriedigung der eigenen Selbstsucht: „Die Leute hielten sich erst für richtig frei, wenn sie auch die letzten moralischen Hemmungen über Bord warfen. Doch meistens waren sie nur unfähig, für einen anderen etwas zu empfinden.“[25] Auch Swingerclubs und Dating Apps zerstören für den dezidierten Anhänger konventionellen Kennen- und Liebenlernens das Verbindliche jeder intimen Beziehung – „eine Natürlichkeit, die bei unserer gegenwärtigen Lebens- und Sterbensweise irgendwie auf der Strecke geblieben ist“.[26] Als ehemaligen Katholiken erregt ihn selbstverständlich vor allem die Vorstellung von Sex als etwas Verbotenes, als bewusste Verhöhnung von allem, was gut und anständig sei. Aber aus Angst, etwas von seiner Seele preiszugeben, hält er sich lieber an sogenannte Schlampen und Prostituierte, die außer Geld nichts erwarten. Doch gleichzeitig sehnt er sich nach einer Partnerin, die er aufrichtig lieben kann – mag er auch noch so viel dafür geben müssen. Denn im Grund seien Frauen das überlegene Geschlecht — sie planen viel besser und haben alles besser im Griff:
„Während wir uns Football-Übertragungen ansahen oder Bier tranken oder kegelten, dachten sie über uns nach, konzentrierten sich, beobachteten, überlegten – ob sie uns akzeptieren oder fallenlassen oder gegen einen anderen austauschen sollten; ob sie uns umbringen oder einfach verlassen sollten. Am Ende machte es kaum einen Unterschied. Was sie auch taten, am Ende waren wir allein und verbiestert.“[27]
Es ist unredlich, wenn nicht sogar unmöglich, Bukowski posthum zum Frauenrechtler und Feministen hochzustilisieren. Das gibt sein konservatives und zuweilen reaktionäres Geschlechterverständnis schlicht nicht her. Doch ist es ebenso unfair, ihm zum Vorwurf machen zu wollen, dass es in seiner Lebenswelt von sexuell und sozial Gestörten nur so wimmelt. Indem er die Aufmerksamkeit auf die tatsächlichen Verhältnisse und die vergeblichen bis verzweifelten Versuche eines halbwegs erträglichen Miteinanders lenkt, leistet er wahrscheinlich mehr zum Verständnis von überkommenen Rollenmodellen als sämtliche Forderungskataloge semiprofessioneller Frauen- und Männerversteher zusammen.
Der Tod ist ein Anderer
Das Ende des Lebens ist naturgemäß ein entscheidendes Ereignis für das existenzphilosophische Denken, da es seinem Gegenstand erst die abschließende Form verleiht und sämtliche seiner Facetten mit dem Stempel der Endgültigkeit versieht. Dabei wird ein radikaler Perspektivenwechsel vom objektiven Geschehen hin zum subjektiven Erleben vollzogen, das den Tod als Grenzsituation ins Leben hineinzieht und so zur Entscheidung zwingt. Ob als Krankheit und Sein zum Tode oder absolute Negation, ob als eigentliche Vereinzelung des Selbst oder unumkehrbarer Verlust des Anderen – Einigkeit besteht bei der Vielzahl von Denkansätzen lediglich darin, dass die Verdrängung von Sterben und Tod einer philosophischen Analyse des Lebens nicht gerecht wird.
Obwohl Charles Bukowski bereits seit seiner Jugend ein unverkrampftes Verhältnis zum Tod pflegt und mehrmals bei dem halbherzigen Versuch scheitert, sich das Leben auf eine abrupte statt allmähliche und alkoholgestützte Weise zu nehmen, rückt die existenzielle Bedeutung des eigenen Endes erst im sogenannten Spätwerk in den Mittelpunkt. Abgesehen von dem persönlichen Wunsch des ‘Dirty Old Man’, im Jahr 2000 noch das 80. Lebensjahr zu vollenden, hat er schon längst seinen Frieden mit dem Gevatter gemacht, der bei ihm auf fast schon surreale Weise als ‘Doppelgänger’ oder – wie könnte es anders sein? – sogar als ‘Lady Death’ um die Ecke kommt. Mit diesem existenzphilosophischen Motiv, das auch Dostojewskij oder Sartre beschäftigt hat, schreibt sich Bukowski etwas von der Seele, das ihn schon lange plagt, nicht zuletzt weil er aufgrund der nachlassenden Gesundheit spürt, dass seine Tage gezählt sind. „Ich kann Ihnen nichts schicken. Ich habe Leukämie“ heißt es prosaisch in einem seiner letzten Briefe an einen seiner Herausgeber, und auch der letzte Roman Pulp ist eine ironische Abrechnung mit Bukowskis Lebensthemen.
Darin gibt der Tod höchstpersönlich, in Gestalt einer aufreizenden Lady, dem Privatdetektiv den Auftrag, nach dem verschwundenen Dichter Céline zu suchen, der eigentlich schon seit Jahrzehnten tot sein müsste. Als Kriminalgeschichte vielleicht weniger gelungen, als Parodie und Schlüsseltext voller Anspielungen auf Wegbegleiter und entscheidende Episoden kann der Roman dabei durchaus als eine Lebensbilanz durchgehen, die Bukowskis Philosophie als ‘Pessimismus mit optimistischem Drall’ zusammenfasst:
„Das Beste am Leben waren oft die Zeiten, wo man überhaupt nichts tat und nur sinnierte und wiederkäute. Angenommen, man sagt sich, dass alles sinnlos ist, dann kann es nicht ganz sinnlos sein, weil man sich bewusst ist, dass es sinnlos ist, und dieses Bewusstsein von Sinnlosigkeit gibt ihm fast einen Sinn.“[28]
Als junger Mann hält Bukowski den Selbstmord für seine stärkste Waffe, denn der Gedanke, dass der Käfig, in dem er sein Dasein fristet, nicht ganz und gar verschlossen ist, gibt ihm die Kraft, es darin auszuhalten. Wie für andere große Geister vor ihm gilt ihm jener als „Werkzeug des denkenden Menschen“ und so ziemlich die einzige Handlung, die wir frei wählen können. Auch das Trinken sieht er als eine Art Suizid auf Probe, der einem jedoch nach jedem Absturz die Chance gibt, noch einmal von vorne zu beginnen. Und so sind es auch nicht das Sterben oder der Tod selbst, die ihm zu schaffen machen, sondern das Leben, das bis dahin nicht gelebt wird, oder die vielen losen Enden und unerledigten Dinge, die nun für immer unvollendet bleiben:
„Was einem zu schaffen macht, ist nicht der Tod, es ist die stupide Unannehmlichkeit des Ganzen, das Versagen des Willens, das Abkommen vom Kurs, der Verzicht auf trunkene Abende und die Tage auf der Rennbahn.“[29]
Bis zuletzt schreibt Charles Bukowski auf, was ihn bewegt. Nicht mehr auf seiner Schreibmaschine, sondern in den letzten Lebensjahren an einem Computer, der zwar nicht mehr ganz so aggressiv klingt wie ein Maschinengewehr, aber dennoch ganz neue Möglichkeiten des dynamischen Ausdrucks offenbart. Seit seiner Krebsdiagnose und der anschließenden Chemotherapie verzichtet er sogar weitgehend auf den geliebten Alkohol. Seiner Frau zuliebe versucht er es schließlich sogar mit Ayurveda und Transzendentaler Meditation, doch aus dem ganzen Jahr, das ihm die Ärzte in Aussicht stellen, wird nur ein halbes. Der ‘Dirty Old Man’ stirbt am 9. März 1994 im Alter von 73 Jahren an einer Lungenentzündung als Folge seines geschwächten Immunsystems.
III. Ethik des Durchhaltens

Obwohl Charles Bukowski immer bedauert hat, dass von seinem Werk in erster Linie das selbstgeschaffene Bild vom ewig Besoffenen übrig zu bleiben droht, konnte er bereits erahnen, dass seine Entdeckung erst nach dem Tod so richtig losgeht:
„Alle, die mich zu Lebzeiten gefürchtet oder gehasst haben, finden mich jetzt ganz toll. Meine Worte sind überall. Clubs und Gesellschaften werden gegründet. […] Man macht mich viel mutiger und begabter, als ich es gewesen bin. Es wird übertrieben.“[30]
Neben einer realistischen Einschätzung des eigenen Könnens und Wirkens besteht seine Originalität im Unterschied zu den meisten anderen Analytikern menschlichen Elends vor allem darin, die existenzielle Härte mit selbstironischem Humor zu verbinden. Seine nihilistischen Tiraden werden immer wieder durch alltägliche Nichtigkeiten wie Hämorrhoiden oder abgerissene Schnürsenkel gebrochen, die den sensiblen Helden auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Seine Figuren sind – wie er selbst – versehrt und verletzlich, aber immer auch ein bisschen Drecksack, der austeilt, um nicht noch mehr einstecken zu müssen.
„Wie oft kann einer durch die Mangel gedreht werden und trotzdem gelassen bleiben, die Sommersonne im Kopf behalten? Wie viele üble Knäste, wie viele üble Frauen, wie viele Krebsgeschwulste jeder Art kann er aushalten, wie viele Reifenpannen, wie viel von dem oder dem oder dem oder dem oder dem …?“, fragt er sich in einer autobiografischen Notiz und gibt an anderer Stelle zur Antwort, dass es keine bessere Lektion für das Leben als das Verdauen einer Niederlage und das Weitermachen gibt.[31] Doch fürchten die meisten das Versagen so sehr, dass sie eben versagen. Zu sehr daran gewöhnt, dass ihnen in der Familie, in der Schule und im Beruf jemand sagt, wo es langgeht, kommen die meisten Menschen nicht einmal auf die Idee, selbst die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Für Bukowski bleibt die Welt zwar ein „platzender Sack voll Scheiße“, der einfach nicht zu retten sei, doch sollte die schlichte Tatsache, dass schließlich alle Menschen sterblich sind, zumindest dazu beitragen, einander nicht das Leben durch Nebensächlichkeiten zur Hölle zu machen. Viele seiner Leser schreiben ihm sogar, dass seine Bücher für sie die Rettung waren, auch wenn er das nicht für andere getan hat, „sondern um meinen eigenen Arsch zu retten“.[32] Hier schreibt einer, der eben weiß, wovon er redet, und das sogar in einer Sprache, die augenscheinlich jeder versteht. Sein Beitrag zur Literatur bestehe nach eigener Auffassung darin, lockerer und einfacher zu schreiben, Gedichte menschlicher zu machen. Denn diese entstehen aus dem Leben – wo man lebt und wie man lebt und was uns veranlasst, sie zu schreiben. Und je dichter und kleiner dabei die Form, desto weniger laufe man Gefahr, Fehler zu machen oder zu lügen:
„Das Wort zu Papier zu bringen ist Zauberei, die Erlösung, das Glück, die Musik, und weiter geht’s. Es reinigt die Luft, begrenzt den Schaden, es rettet deinen Arsch und die Ärsche einiger anderer Leute gleich mit.“[33]
Denn was uns letztlich umbringt, seien nicht allein die Nixons und die Hitlers, sondern die Intellektuellen, die Dichter, die Gelehrten, die Philosophen, die Professoren, die Liberalen – sämtliche Freunde des Menschengeschlechts, die immer nur das Beste wollen. Diese selbsternannten Weltretter waren Bukowski immer suspekt, da sie meistens vergaßen, sich selbst zu retten. Bevor also große Pläne und Systeme entworfen werden, müsse man bei sich selbst anfangen und erst einmal deutlich machen, wo man steht. Oder etwas komplizierter ausgedrückt: Die Frage nach dem Sein setzt diejenige nach dem fragenden Dasein methodisch voraus; denn die Essenz des Menschen besteht in seiner Existenz. – Bukowski hätten solche terminologischen Spielereien bestenfalls amüsiert. Seine Versuche, das eigene Leben zu beschreiben, haben es vielleicht nicht immer präzise auf den Begriff gebracht, doch zumindest dazu beigetragen, es ein wenig besser im Griff zu haben.
Dont’t try – Brich dir keinen ab!
Nach seiner eigenen Lebensphilosophie gefragt, antwortet Charles Bukowski einmal mit ‘Don’t try’ – eine Formel, die sich auch auf seinem Grabstein im Green Hills Memorial Park in Rancho Palos Verdes wiederfindet. Man könnte dies als eine Variante des berühmten Vanitas-Motivs von der Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns verstehen, aber wie wir Bukowski kennen, hat er es natürlich lieber eine Nummer kleiner und lebensnäher. „Brich dir keinen ab!“ lautet hier die griffige Übersetzung von Carl Weissner, und das gilt sowohl für die Literatur wie auch für das Leben sonst. Solange es nicht von selbst kommt und einen gleichsam anspringt, bricht man sich bereits einen ab. Wer immer strebend sich bemüht und den verpassten Chancen hinterhertrauert, bricht sich einen ab. Durchhalten, so lange es geht, ist das Einzige, was Bukowski als Maxime seines Willens gelten lässt. Mehr ist nicht.[34]
An verschiedenen Stellen hat er in seinen Schriften betont, dass Genie die Fähigkeit sei, etwas Kompliziertes mit einfachen Worten auszudrücken, und dass die meisten zwar als Genies geboren, aber als Idioten begraben werden. Sein eigenes Werk ist dabei der Versuch, sich von allem Überflüssigen zu befreien und sich seinem ‘Hausgott’ der Einfachheit anzunähern. Dass dieses Bemühen selbst alles andere als simpel und einfach ist, bezeugen die unterschiedlichen Varianten und Perspektiven, mit denen er sich seinen Themen widmet. Mit scheinbar trivialen Beobachtungen oder vulgären Ausdrücken, die sich nicht selten zum Aphorismus verdichten, gelingt es ihm, eine Atmosphäre von Gemeinsamkeit zu erzeugen – als ob man selbst mit am Tresen sitzen würde und mit nur halber Aufmerksamkeit eine Geschichte aufschnappt, die einem auch selbst hätte passieren können. Dabei versucht er nie, etwas anderes zu sein, als er ist. Ob als Trinker, Dichter oder Denker – Charles Bukowski will kein anderer sein als er selbst, und dieses Selbst ist kein Produkt fremder Anforderungen und Erwartungen, die die Welt an ihn stellt, sondern praktische Aufgabe und offenes Projekt für jeden, der die Herausforderungen des Lebens annimmt. Das Denken des ‘Dirty Old Man’ mag dabei als Inspiration dafür gelten, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, anstatt nur auf die Anderen zu hören. Bukowski tappt aber nicht in die Falle, sich für klüger zu halten, als er ist, oder gar zum geistigen Führer einer Bewegung aufzuspielen: „Ich habe keine Botschaft an die Welt. Ich bin nicht schlau genug, um zu führen, aber schlau genug, um nicht zu folgen.“[35]
Doch was bleibt vom einstigen ‘Outsider des Jahres’ und ‘Chronisten der Subkultur’, dem Philosophen der Straße oder des Sixpacks? Was bleibt von Sokrates, Descartes, Hume, Kierkegaard, Sartre oder Wittgenstein? Da wir alle irgendwann und irgendwie unter die Räder kommen werden, können wir laut Bukowski in Sachen Existenz und Nichtexistenz wenig anderes tun, als darüber nachzudenken. So werden wir uns weiter durch die Nächte quälen mit unseren Gedanken und Träumen, „wie schemenhafte Maulwürfe, die sich für nichts und wieder nichts die Pfoten blutig scharren und am Ende eins werden mit ihren Löchern. Und das ist auch alles, was von uns eines Tages übrig bleiben wird: sinnlos blutende Löcher in der Nacht.“[36]
Anmerkungen
[1] Den Göttern kommt das große Kotzen. S. 90.
[2] Vgl. den unterhaltsamen Reisebericht zur legendären Lesung in der Hamburger Markthalle, in: Die Ochsentour. S. 80 ff. sowie die einschlägige Studie von Schmidt (2006).
[3] Vgl. Den Göttern kommt das große Kotzen, S. 11 f. Siehe auch Über das Schreiben. S. 84: „Ich habe in der Bibliothek viele Stunden über Schopenhauer, Platon und Aristoles gesessen, doch wenn bestimmte Zähne in dich dringen, steht dir der Sinn nicht nach Gelassenheit und Meditation.“
[4] Schreie vom Balkon. S. 190. Bukowski bezieht sich hier auf die Monografie des Unidozenten Hugh Fox aus dem Jahr 1969.
[5] Roni (2004). S. 40. Das vollständige Vortragsmanuskript findet sich hier zum Download.
[6] Siehe hierzu Wolf (2006), 66 ff.
[7] Pulp. S. 128.
[8] Vgl. etwa Miles (2005), 55: „This is the problem with deciphering Bukowski’s stories. He claimed they were 95 per cent accurate, with embellishments here and there. The percentage is probably closer to 50 per cent fact, 50 per cent fantasy.“ Zur autobiografischen Fiktion vgl. auch Freyermuth (1996). S. 82.
[9] Vgl. „Dichter sein und Dichter spielen“, in: Held außer Betrieb. S. 319–321, Über das Schreiben. S. 47, Das weingetränkte Notizbuch. S. 325.
[10] Das Schlimmste kommt noch. S. 229 f.
[11] Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man. S. 192.
[12] Das weingetränkte Notizbuch. S. 85.
[13] Das Schlimmste kommt noch. S. 332.
[14] Stories und Romane. S. 211.
[15] Held außer Betrieb. S. 185 f.
[16] Stories und Romane. S. 285, 343. Siehe dazu auch Schäfer (2020). S 53 ff., 109 ff.
[17] Stories und Romane. S. 631 f.
[18] Held außer Betrieb. S. 176.
[19] Vgl. Das weingetränkte Notizbuch S. 16. Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man. S. 197–203.
[20] Das weingetränkte Notizbuch. S. 148 f.
[21] Stories und Romane. S. 637.
[22] Das weingetränkte Notizbuch S. 129, 133.
[23] Stories und Romane. S. 639. Vgl. auch Das weingetränkte Notizbuch. S. 158 ff., wo er den Wunsch seines Verlegers Webb ablehnt, einen Anti-Hippie-Artikel zu schreiben.
[24] Das Liebesleben der Hyäne. S. 89. Vgl. Schäfer (2020). S. 81 ff.
[25] Das Liebesleben der Hyäne. S. 305.
[26] Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man. S. 46.
[27] Das Liebesleben der Hyäne. S. 294 f.
[28] Pulp. S. 143 f. Siehe auch Das weingetränkte Notizbuch. S. 328–342 sowie Schäfer (2020). S. 183 ff.
[29] Schreie vom Balkon. S. 545.
[30] Den Göttern kommt das große Kotzen. S. 121.
[31] Held außer Betrieb S. 73. Vgl. Den Göttern kommt das große Kotzen. S. 61.
[32] Den Göttern kommt das große Kotzen. S. 79.
[33] Held außer Betrieb. S. 320 f.
[34] Schreie vom Balkon. S. 379, 547.
[35] Ein Dollar für Carl Larsen. S. 319.
[36] Stories und Romane. S. 810 f.
Literatur
Texte von Charles Bukowski
Das Liebesleben der Hyäne. Roman. Deutsch v. Carl Weissner. 5. Auflage. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1991
Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend. Roman. Deutsch v. Carl Weissner. 11. Aufl. München: Deutscher Taschenbuchverlag 1996.
Das weingetränkte Notizbuch. Stories und Essays 1944–1990. Aus d. Amerikanischen v. Malte Krutzsch. Hg. u. mit einem Nachwort v. David Stephen Calonne. Frankfurt am Main: Fischer Klassik 2012
Den Göttern kommt das große Kotzen. Illustriert von Robert Crumb. Aus dem Englischen von Carl Weissner. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch 2007
Die Ochsentour. Mit Fotos von Michael Montfort. Aus dem Amerikanischen v. Rainer Wehlen. Fischer Taschenbuchverlag 1991
Ein Dollar für Carl Larsen. Bukowski über Schriftsteller und das Schreiben. Stories, Rezensionen, Interviews. Hg. v. David Calonne. Deutsch v. Esther Ghiaonda-Breger. Augsburg: MaroVerlag 2019
Held außer Betrieb. Stories und Essays 1946–1992. Aus dem Amerikanischen v. Malte Krutzsch. M. einem Nachwort v. David Stephen Calonne. Frankfurt am Main: Fischer Klassik 2015
Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man. Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch. Hg. und mit einem Nachwort v. David Stephen Calonne. Frankfurt am Main: Fischer Klassik 2015
Pulp – Ausgeträumt. Aus dem Amerikanischen von Carl Weissner. 4. Auflage. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013
Schreie vom Balkon. Briefe 1958–1994. Hg. v. Seamus Cooney. Deutsch v. Carl Weissner. Hamburg: Gingko Press 2005
Stories und Romane. Das ausbruchsichere Paradies. Faktotum. Der Mann mit der Ledertasche. Anmerkungen eines Dirty Old Man. 9. Aufl. Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1977
Über das Schreiben. Briefe an meine Weggefährten und Gönner. Hg. v. Abel Debritto. Aus d. Amerikanischen v. Marcus Ingenday. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2017
Weitere Literatur
Freyermuth, Gundolf S.: „Das war’s“. Letzte Worte mit Charles Bukowski. Mit Bildern von Michael Montfort, Hamburg: Rasch und Röhring Verlag 1996
Roni: „Bukowski – Nietzsche – Schopenhauer. Eine Materialsammlung“, kommentiert, in: Jahrbuch der Bukowski-Gesellschaft 2004, 40–55
Miles, Barry: Charles Bukowski. London: Virgin Books 2005
Schäfer, Frank: Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z. Leipzig: Zweitausendeins 2020
Schmidt, Horst: „The Germans love me for some reason“. Charles Bukowski und Deutschland. Augsburg: MaroVerlag 2006
Wehlen, Rainer & Winans, A. D. (Hg.): BUK. Von und über Charles Bukowski. Aus dem Amerikanischen v. Rainer Wehlen. Augsburg: MaroVerlag 1984
Wolf, Thomas R.: „Das eigene Leben (be)schreiben. Konjunktur oder Krise der Autobiographie“, in: Der Ratgeber für neue Autoren 2006/2007. Alles, was Sie zum Thema Schreiben und Veröffentlichen wissen müssen. Frankfurt a. M.: Frankfurter Ratgeberverlag 2006, 63-70